Releasetermin: 13.02.2018
Medientyp: Blu-ray Disc, Download
Genre: First-Person-Rollenspiel
Entwickler: Warhorse Studios
Herausgeber: Deep Silver
Mir war das Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance durch seine Kickstarter-Kampagne schon länger ein Begriff gewesen. So wirklich auf meinen Schirm geriet es aber erst, nachdem ich es auf der letztjährigen Gamescom ausprobieren hatte. Der realistische Ansatz und der mittelalterliche Schauplatz haben mich neugierig auf das fertige Produkt gemacht. Endlich mal wieder ein RPG, das die Dinge anders angeht und dadurch positiv heraussticht? Oder schaden dem Endprodukt seine realitätsnahen Elementen gar? Finden wir es heraus.
Ganz ohne Drachen und magische Geschehnisse
Im 15. Jahrhundert angesiedelt, erzählt Kingdom Come: Deliverance die Geschichte eines einfachen Dorfbewohners, der inmitten des Böhmischen Krieges auf Rache aus ist. Der Sohn eines Schmiedes geht als einer der wenigen Überlebenden hervor, nachdem sein Heimatdorf Skalitz in einem verheerenden Angriff zerstört wurde. Auf der Suche nach dem Schwert seines Vaters schließt sich Heinrich den Reihen des Burgherrn Radzig Kobyla an. Böhmen ist unterdessen dem Krieg zwischen den ungarischen Kumanen und den Tschechen ausgesetzt, da König Sigismund von Ungarn den rechtmäßigen König Böhmens, Wenzel IV., vom Thron stoßen möchte. Heinrich findet sich inmitten des verzwickten Krieges vor, der über die Zukunft seines Königreichs entscheiden wird.
Mir hat gut gefallen, dass Protagonist Heinrich nicht als wundersamer Retter seiner Zeit dargestellt wird, sondern seiner eigenen Geschichte nachgeht und sich den Umständen fügen muss. Die Handlung ist damit vielleicht etwas bodenständiger als die manch anderer Titel in diesem Genre, doch ist sie dennoch sehr unterhaltsam inszeniert. Die historische Genauigkeit, die die Entwickler sich für die Story vorgenommen haben, tut dem Geschehen sehr gut.
Tolle Dialoge und interessante Hintergrundinformationen
Auch die Interaktion mit anderen Figuren ist gelungen umgesetzt. Ich habe den Charakteren stets gebannt zugehört und mich über jede Info über die Spielwelt und die historischen Ereignisse gefreut. Die Dialoge sind gut geschrieben und überzeugten mich in der gespielten deutschen Version. Mit einem Sprecheraufgebot, das einen Hollywood-Streifen synchronisieren könnte, tragen die Konversationen dazu bei, dass der Story-Aspekt von Kingdom Come: Deliverance zu den großen Stärken des Spiels zählt. Daran können auch die teils steifen Gesichtsanimationen nichts ändern, welche die Dialoge hin und wieder fast schon ins Lächerliche ziehen, aber im Endeffekt die Qualität der Konversationen kaum mindern. In Kombination mit dem extrem umfangreichen “Kodex”, der viele Infos über das Böhmen des 15. Jahrhunderts preis gibt, wurde ich von der Story richtig gut unterhalten.
Realistisch, aber nicht immer spaßig
Das Spielgeschehen behält die realistische Art bei und fordert vom Spieler, dass diverse Aspekte beachtet werden müssen. Das fängt an mit der Zeit, die eine zentrale Rolle spielen kann. In Kingdom Come: Deliverance hat Heinrich für seine Aufgaben, die er von seinen Mitmenschen erhält, nicht immer unbegrenzte Zeit. Schuldet Heinrich jemanden beispielsweise etwas und zahlt es nicht rechtzeitig zurück, kann das Konsequenzen für den Hauptcharakter haben. Ebenso müssen wir stets ein Auge auf seinen Zustand haben. Hat Heinrich Hunger? Aber bloß nicht zu viel essen! Ist er ausgeschlafen oder schon zu lange auf den Beinen? Auch die Kleidung von Heinrich kann ausschlaggebend sein. Zudem sollten wir darauf achten, dass seine Kleidungsstücke nicht dreckig oder gar blutig sind, was nämlich dazu führen kann, dass er keinen Respekt oder Vertrauen von seinen Mitmenschen erhält. Auch Wunden sollte er schnell verarzten – einen simplen Heiltrank gibt es nicht.
Kingdom Come enthält dutzende dieser kleinen Details, die das Spiel zur authentischen Erfahrung machen sollen. Viele dieser Ideen sind zwar nicht neu, aber insgesamt ergibt sich ein stimmiges Bild, bei dem in puncto Realismus die wenigsten Spiele mithalten können. Anfangs überwältigten mich diese Aufgaben etwas. Es fiel mir schwer, alle Aspekte im Blick zu behalten. Mit der Zeit aber entwickelte ich fast schon eine Routine und es wurde zur Gewohnheit, Heinrichs Zustand instand zu halten. Während ich die meisten Details für die Authentizität zu schätzen wusste, sind einige Punkte spätestens nach einigen Stunden dann doch recht nervig. So ist zum Beispiel das enorm wichtige Schlafen an eine langweilige Wartesequenz gebunden. Ich war es jedenfalls irgendwann leid, dieser immer ausgesetzt zu sein.
Viele Spiele streichen den Realismus teilweise zugunsten des Unterhaltungswert, was Kingdom Come eben nicht macht. In den meisten Fällen geht diese Entscheidung auch auf, doch bei einigen Elementen leidet der Spielspaß leider geringfügig darunter.
Kampfgeschehen angenehm herausfordernd, doch auch mit schwachen Momenten
Auch Kämpfe handhabt der Titel etwas anders als die meisten anderen RPGs. Bei Schwert- oder Faustkämpfen stehen Heinrich diverse Manöver wie leichte und schwere Schläge oder auch ein Tritt zur Verfügung. Dem Realismus geschuldet gehen die meisten Angriffe dabei langsamer und behäbiger als in actionorientierten Rollenspielen über die Bühne. Zudem sehen Spiele eine Anzeige, mit der die Schlagrichtung bestimmt wird. Dieses System erinnert mich grob an die Umsetzung von For Honor, fällt hier durch mehr Richtungsmöglichkeiten aber etwas komplexer aus.
Da Gegner ordentlich austeilen können und zumeist wissen, wie sie sich durch Blocks vor Schlägen schützen, stellt jede Begegnung Heinrich vor eine Herausforderung. Kämpfe gegen einzelne Personen habe ich gerne bestritten, da sie mit ihrer Betonung auf gutes Timing recht spannend ausfallen. Sobald aber mehrere Gegner vor uns stehen, ist es häufig sehr knifflig, unbeschadet aus dem Gefecht zu gehen. Das unterstützt einmal mehr die realistische Ader von Kingdom Come. Ich würde daher sogar sagen, dass Gefechte in vielen Fällen vermieden werden sollten. Oftmals ist es auch durchaus möglich, sich mit Worten durch die unterschiedlichsten Situationen zu retten.
Hin und wieder aber stellen uns die Quests zwangsweise vor mehrere Gegner, was stellenweise unfair wirkt. Sämtliche Fertigkeiten von Heinrich werden durch häufige Nutzung aufgestuft. Da ich nach Möglichkeit stets den Weg der Klärung per Konversation gewählt habe, waren meine Schwertkünste über weite Teile des Spiels nicht sehr ausgeprägt. Dies führte zu einigen frustrierenden Situationen. Auch wenn es also in manchen Momenten etwas unausgewogen wirkt, finde ich das Kampfsystem recht gelungen, sofern man großen Gefechten aus dem Weg geht. Auch der Umgang mit Pfeil und Bogen ist unterhaltsam, wird dem Spieler aber dadurch erschwert, dass wir kein Fadenkreuz sehen. Mit etwas Übung kann man dennoch recht präzise Schüsse abgeben.
Questumfang und -qualität überzeugen
Heinrich geht nicht nur seinen Haupttätigkeiten in Form von Story-Quests nach, sondern stellt sich auch vielen Nebenquests. Diese haben mir alles in allem gut gefallen. In vielen Missionen werden Figuren besser beleuchtet. Das kann dazu führen, dass man manch einen Charakter im Anschluss einer gemeinsam Quest mehr mag als noch zuvor. Kingdom Come bietet beispielsweise Aufgaben, in denen wir Tiere jagen. Auch gibt es Missionen, in denen man Geschehnisse aufdecken und Dorfbewohner befragen muss. Wir müssen Dinge finden oder uns unter anderem als Mönch verkleiden, um mehr über einen Feind herauszufinden. Grundsätzlich sind die Aufgaben recht abwechslungsreich. Gelegentlich bereitet eine Mission auch mal weniger Spaß, doch hat mich die Qualität unterm Strich überzeugt. Zusammen mit den Aktivitäten, die kleinere Aufgaben im Alltag darstellen, hält das RPG Inhalt für viele Stunden bereit.
Bugs und Glitches sowie Performance-Probleme, wogegen per Patches angekämpft wird
Was zu Release Wellen geschlagen hat, ist der technische Zustand des Spiels. Es stimmt, dass sich Bugs und Glitches in das Geschehen eingemischt haben. Das äußert sich zum Beispiel in fragwürdigem KI-Verhalten, in plötzlich herumfliegenden Figuren und Gegenständen, oder in merkwürdigen Kamerawinkeln, die überlappende Figuren zeigen. Bisher ist quasi kein Open World-Spiel von technischen Problemen verschont geblieben, doch scheinen Bugs in Kingdom Come dann doch häufiger vorzukommen als in ähnlichen Titeln. Zudem ist das Spiel von recht starken Pop-Ins geplagt, was besonders beim schnellen Reiten ersichtlich wird.
Nun ist rund ein Monat seit Release vergangen und ich muss loben, dass man per Patches versucht, diese Probleme zu beseitigen. Ich habe das Gefühl, mittlerweile seltener Glitches zu erleben. Auch die Framerate, die nicht immer optimal war, hat sich in den letzten Updates verbessert. Ebenso nimmt man sich der Kritik an und hat mit dem heute veröffentlichten Patch 1.3 das System zum Schlossknacken überarbeitet, das sich zuvor noch recht umständlich auf dem Controller steuern ließ. Ich hoffe daher und bin zuversichtlich, dass die Entwickler weiterhin an den technischen Problemen arbeiten werden.
Wunderschöne Landschaften in Böhmen
Grafisch gibt das Spiel zumeist ein sehr gutes Bild ab. Ich habe auf der PS4 Pro gespielt und bin allen voran begeistert von den wundervollen Landschaften, die das Spiel immer wieder zeigt. Die Weitsicht kann überzeugen und die Texturen wirken zumeist recht scharf. Ich möchte außerdem hervorheben, wie toll die Nacht inszeniert ist. Anders als in manch einem Spiel ist die Nacht hier wirklich finster und hat gar etwas Gruseliges an sich. Die dichten Wälder sind ebenfalls schön inszeniert, auch wenn sie letzten Endes dann doch nicht so realistisch aussehen, wie sie vor Jahren noch in der Kickstarter-Kampagne beworben wurden. Trotz der teils schwächelnden Gesichtsanimationen hat mir die Optik insgesamt sehr gefallen, da sie ein sehr stimmungsvolles Bild schafft. Das trifft auch auf den Soundtrack und die Soundeffekte zu, welche die Spieler regelrecht in das 15. Jahrhundert versetzen.