Skydance Games dürfte für viele VR-Interessierte kein unbeschriebenes Blatt sein. Mit den beiden The Walking Dead: Saints & Sinners-Spielen hat das Gaming-Studio der Filmproduktionsgesellschaft Skydance Media zwei der bisher besten VR-Spiele des Mediums veröffentlicht. Daher war mein Interesse groß, als ich erstmals von Skydance’s BEHEMOTH gehört habe. Eine neue IP mit einem Fantasy-Setting, das über die Interaktivität und Qualität eines TWD: Saints & Sinners verfügen könnte? Klingt nach einem Rezept für den nächsten VR-Hit! Daher freute ich mich darüber, BEHEMOTH auf der Gamescom ausprobieren zu dürfen.
Fokus auf Narrative mit kostenloser Graphic Novel
Im Gespräch mit Brian Murphy, Game Director von BEHEMOTH, wurde mir in wenigen Minuten klar, dass die Handlung eine große Rolle spielen würde. Schließlich hat das Team von Skydance eine Graphic Novel entworfen, die in derselben Welt von BEHEMOTH spielt. Die Graphic Novel “The Cursed, the Hunted and the Dead” wird zum Release auf der Website von Skydance zum kostenlosen Download angeboten. Damit sollen Spieler mit den ersten Eindrücken der Welt von BEHEMOTH in die richtige Stimmung versetzt werden, so Murphy. Die Entwickler und Storyschreiber haben sich ein Universum überlegt und dieses mit einer Geschichte versehen, die sich über 1000 Jahre erstreckt. Die im Spiel erlebte Zeitspanne ist deutlich kürzer, doch in Kombination mit der Graphic Novel würde sich eine umfangreiche und detaillierte Handlung ergeben.
Der Game Director erklärte mir, dass die gespielte Figur im finalen Spiel vertont wäre und es Zwischensequenzen geben würde, welche die Geschichte des Titels vorantreiben sollen. Weiterhin können Spieler optionale Gegenstände finden, die die Lore von BEHEMOTH mit neuen Informationen füttern sollen. Mitbekommen habe ich in meiner Demo auf der Gamescom von diesen Aspekten jedoch noch nichts. Weder durfte ich eine Zwischensequenz erleben noch dem Synchronsprecher des Protagonisten lauschen, wodurch die Story-Komponente für mich noch mit einem Fragezeichen versehen ist. Da die Skydance-Gruppe über alle Medien hinweg aber stets einen großen Wert auf die Narrative legt und mit der Graphic Novel ein toller erster Eindruck der Welt vermittelt wird, bin ich zuversichtlich, dass die Handlung interessante Impulse bieten wird.
Das Gameplay zu meiner rund halbstündigen Erfahrung mit Skydance’s BEHEMOTH könnt ihr im obigen Video ansehen.
Spaßiger, wenn auch leicht hölzerner Nahkampf
Die Demo auf der Gamescom hatte ein Ziel: Die Spieler sollten einem der titelgebenden Behemoths begegnen. Der Titel wird insgesamt 4 Behemoths beinhalten, die Spieler vor unterschiedliche Herausforderungen stellen sollen. Dazu gesellen sich 7 Minibosse sowie weitere kleine Feinde. Um für den Kampf gegen den Behemoth gewappnet zu sein, erstellte Skydance für die Gamescom ein Tutorial. In diesem konnte ich die Grundlagen des Nahkampfes und der Fortbewegung erlernen. Am Körper verteilt haben Spieler virtuelle Beutel, in denen Waffen und sonstige gefundene Objekte verstaut werden können. Diese sind intuitiv an den Hüften sowie hinter den Schultern angebracht.
Mit einer Axt und einem Schwert ausgestattet, durfte ich das Kampfsystem kennenlernen. Die Waffen fühlen sich beim Aufprall auf Gegner wuchtig und schwer an. Diese schützen sich mit einem Schild oder nehmen eine Defensivposition ein. Mit einer Axt lässt sich das gegnerische Schild zerstören. Sobald die Feinde zum Angriff ansetzen, ist ebenfalls eine defensive Haltung für den Spieler empfohlen. Mit dem richtigen Timing lassen sich Angriffe parieren, was Feinde temporär in einem geschwächten Zustand hinterlässt. Hier wird die grausame und blutige Aufmachung der Kämpfe ersichtlich: Körperteile lassen sich abtrennen, Schwerter bleiben in den virtuellen Gegnern stecken. Die Inszenierung passt zum barbarischen Setting, ist aber nichts für schwache Nerven. Kämpfe mit menschensgroßen Feinden haben mir großen Spaß bereitet. Insbesondere das Parieren funktionierte recht gut und fühlte sich befriedigend an. Auch BEHEMOTH hat das typische Problem in VR, dass bei Nahkämpfen das Trefferfeedback nicht einwandfrei ist und sich Kämpfe stellenweise hölzern anfühlen. Den Spaß am Kämpfen hat dies jedoch nicht beeinträchtigt.
Mit Schwung durch die Areale
Der zweite Teil des Tutorials brachte mir die Fortbewegung bei. Die Spielfigur kann sich mit dem linken Stick frei bewegen, hat mit einer Art Enterhaken aber auch einen besonderen Kniff in petto. An passenden Stellen kann sich der Spieler einhaken und im Stile von Spider-Man durch die Gegend schwingen. Per Knopfdruck zieht sich der Spieler am Seil hoch, was mit etwas Geschick in einem schnellen Momentum resultieren kann. Diese Art der Fortbewegung funktionierte stellenweise richtig gut. Doch es gab auch Momente, in denen die Zielerfassung nicht zuverlässig anlockte oder das Schwingverhalten unberechenbar wirkte. Da ich gelegentlich auch Trackingprobleme wahrnahm, die sich in einem Messestand mit ungünstigen Raumbedingungen häufig nicht vermeiden lassen, möchte ich diese Momente der unpräzisen Steuerung dem Spiel nicht allzu sehr ankreiden. Es wird sich zeigen, wie gut die Fortbewegung letztlich in der finalen Version bei optimalen Raumbedingungen funktionieren wird.
Begegnung mit einem titelgebenden Behemoth
Nun war ich also gewappnet mit der Kampfkunst und der Fortbewegung per Enterhaken und konnte mich endlich dem Behemoth stellen: Dreddstag. Dieser Behemoth wird im finalen Spiel nicht der erste Koloss sein, auf den Spieler treffen werden. Daher war ich vorgewarnt, dass die Bekämpfung von Dreddstag sich knifflig gestalten würde, da der Behemoth von erfahrenen Spielern bekämpft werden soll. Von einem klassischen Kampf konnte jedoch kaum die Rede sein. Die im Tutorial erlernten Kampfskills halfen mir gegen Dreddstag nicht weiter. Der riesige Feind misst rund 200 Meter und ist so groß, dass er uns zunächst gar nicht wahrnimmt. In einer Art Arena kreist er seine Runden und beeindruckt mit seiner Größe. Schnell wurde mir zu verstehen gegeben, dass Dreddstag wie eine Art Boss im PS2-Kultspiel Shadow of the Colossus aufgebaut ist. Statt in klassischen Nahkampf anzutreten, wird das Bezwingen des kolossalen Bosses zum Rätsel. Dies fängt schon auf Ebene des Boden an: Wie können wir den Riesen überhaupt beklettern? Der Enterhaken stellt sich als Lösung dar, mit dem sich der Koloss temporär am Boden festketten lässt. Anschließend kann der Behemoth erklommen werden.
Faire Checkpoints und spaßiges Trial & Error-Prinzip
Neben dem Enterhaken kommt hier die Klettermechanik zum Einsatz, die vom Spieler ein intuitives Festhalten der Grip-Tasten erfordert. Dreddstag ist versehen mit vielen Flächen, auf denen Spieler entlang klettern können. Ebenso sind auf dem Behemoth viele Stellen verteilt, an denen wir den Enterhaken einsetzen können. So wird der Boss zum Puzzel-Kletter-Minispiel. An welcher Stelle geht es weiter? Wo kann ich klettern, wo den Enterhaken einsetzen? Wo kann ich meinen Schwung ausnutzen, um gleich eine größere Distanz zu überwinden und den Behemoth schneller zu erklimmen? Mit fair gesetzten Checkpoints wird die Begegnung mit Dreddstag zum Geschicklichkeitstest im Trial & Error Verfahren. Schnell hatte ich den nächsten Schritt ermittelt, doch die Ausführung des Sprungs oder Schwungs gestaltete sich knifflig. Frust kam zu keiner Sekunde auf, obwohl ich dutzende Male heruntergefallen oder heruntergestoßen wurde. Vielmehr motivierten mich die Fehlversuche, es beim nächsten Mal besser zu machen. Und tatsächlich schaffte ich es auf der Zielgeraden, in meiner letzten Minute mit der Demo Dreddstag auf den Kopf zu steigen und zu eliminieren. Mit einem Gefühl der Errungenschaft nahm ich über beide Ohren grinsend das Headset ab.
Spaßige Demo, doch viele Versprechungen bleiben mit einem Fragezeichen versehen
Ich hatte durchaus großen Spaß im Kampf gegen Dreddstag. Die Geschicklichkeitspassagen sind motivierend und lassen durch clever gesetzte Checkpoints keinen Frust aufkommen. Etwas verunsichert bin ich durch die teils unpräzise Steuerung, was sich aber durchaus den auf Messen nicht untypischen Trackingproblemen zuschreiben lässt. Als Sorge kam weiterhin auf, dass Skydance’s BEHEMOTH möglicherweise ausschließlich erfahrenen VR-Spielern zu empfehlen ist. Das Ruckeln beim Schwingen auf dem Koloss wird sicherlich dem einen oder anderen VR-Neuling den Magen umdrehen. Gefehlt hat mir zudem die Weitsicht, die sich auf dem Koloss nur erahnen ließ. Die Größe des Behemoths war durchaus beeindruckend. Im Gespräch mit dem Game Director hob dieser aber hervor, dass man mit BEHEMOTH beeindruckende, weite Umgebungen etablieren möchte, von denen ich in der Demo nicht allzu viel sehen konnte.
Dieses Motto zieht sich durch meine Erfahrung mit der Demo: Ich konnte eine Menge der Sachen, die der Titel verspricht, noch nicht sehen. Die Story-Komponente blieb in der Demo aus, ebenso bekam ich nur einen kurzen Vorgeschmack auf das Kampfgeschehen. Vom angekündigten Skill-Tree, der sich über drei spezifische Waffen erstrecken soll, habe ich ebenfalls nichts gesehen. Und auch die Nebentätigkeiten, die auf Abzweigungen vom hauptsächlichen Weg auf die Spieler warten sollen, kann ich aktuell nur erahnen. Es zeigt sich, dass ich nur einen kleinen Teil davon anspielen konnte, was Skydance mit seinem neuen Titel verspricht. Wenn die teils schwammige Steuerung ausgemerzt wird, es spannende Handlungsstränge gibt, das RPG-System motivierend umgesetzt ist und die drei restlichen Behemoths ähnlich kreatives Spielgeschehen bieten, spricht aber nichts dagegen, dass mit Skydance’s BEHEMOTH im November ein großer VR-Kracher auf Besitzer eines PC VR-Headsets, PSVR2 oder Meta Quest 2/3 wartet.