Releasedatum: 05.12.2024
Medientyp: Blu-Ray, Spielmodul, Download
Genre: JRPG
Entwickler: Mistwalker Corporation
Herausgeber: Square Enix
Hironobu Sakaguchi gilt als Schöpfer der Final Fantasy-Reihe und somit als feste Größe in der Spieleindustrie. Sakaguchi gehört allerdings schon lange nicht mehr Square Enix an, sondern hat mit Mistwalker in 2004 ein eigenes Studio gegründet, das JRPG-Fans seither mit Spannung verfolgen. Die meisten seiner Spiele haben eher ein Nischendasein, gelten unter Genrefans aber auch gerne als Kulthits. Auf Titel wie Blue Dragon, Lost Odyssey und The Last Story folgte im Jahr 2021 das JRPG Fantasian. Anders als seine vorherigen Werke erschien Fantasian jedoch nicht auf Konsole oder PC, sondern wurde für Apple-Geräte über die Apple Arcade-Plattform entwickelt und veröffentlicht. Mit Fantasian: Neo Dimension wird der Konsolen- und PC-Release nun nachgeholt.
Interessante Handlungsstränge, letztlich aber ohne denkwürdige Überraschungen und Momente
Die Handlung des Spiels folgt einer recht einfachen Prämisse. Protagonist Leo leidet an einer Amnesie. Spieler begeben sich auf ein Abenteuer, in dem sie nicht nur Leos Erinnerungen wiederherstellen müssen, sondern auch die sogenannte Mechteria bekämpfen. Dabei handelt es sich um eine mechanische Infektion, die sich über das Land ausbreitet und zur Bedrohung für die Menschheit wird. Was anfangs noch in eher kleinem Ausmaße mit wenigen Orten und Figuren stattfindet, wird im Laufe des Spiels zum großen Epos in verschiedenen Dimensionen und einem großen Aufgebot an Charakteren. Die Geschichte hat einige Wendungen zu bieten, wirklich überraschend sind diese jedoch selten. So bleiben unter dem Strich einige interessante Handlungsstränge, die sich aber nicht zu einer denkwürdigen Geschichte verweben.
Zweigeteilte Spielerfahrung
Ursprünglich hat Mistwalker Fantasian in zwei Teilen veröffentlicht. Mit rund einem halben Jahr Abstand erschienen die beiden Spielhälften über Apple Arcade. In Fantasian: Neo Dimension sind beide Teile enthalten. Dennoch macht sich beim Spielen ein deutlicher Bruch an eben jener Stelle bemerkbar, wenn der zweite Teil einsetzt. Während sich der erste Abschnitt über rund 20-30 Stunden erstreckt und ein relativ geradliniges Abenteuer mit Fokus auf die Geschichte und Figuren erzählt, gewährt der zweite Abschnitt größere Freiheiten. Damit geht einher, dass die Handlung in den Hintergrund gerät, freie Erkundung sowie Kämpfe stehen hier im Vordergrund. Mir haben grundsätzlich beide Ansätze gut gefallen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die beiden Teile kohärenter miteinander verbunden wären. Durch die gewählte Umsetzung fühlt es sich an, als würde man zwei unterschiedliche Spiele erleben.
Bekannte Spielmechaniken, angereichert mit cleveren neuen Ideen
Das Kampfsystem von Fantasian: Neo Dimension ist das Herzstück des Spiels. Auch wenn die Geschichte mehrere Stunden Spielzeit einnimmt, verbringen Spieler gerade in der zweiten Hälfte die meiste Zeit mit dem Kämpfen. Fantasian etabliert ein rundenbasiertes Kampfsystem mit mehreren Besonderheiten. Jeder der 8 Charaktere hat spezifische Rollen oder Fähigkeiten, entweder durch elementare Eigenschaften oder besondere Mechaniken. So gibt es eine Figur, die verheerenden Schaden austeilt, sich dabei aber selbst verletzt. In der ersten Hälfte des Spiels ist zumeist das Figurenaufgebot limitiert und vorgegeben. In der zweiten Hälfte entfaltet sich die Freiheit über die Figurenwahl, die fortan strategisch getroffen werden muss. Selbst die Reihenfolge, in der sich die Charaktere unserer Reise anschließen, können Spieler mit dem Abschluss bestimmter Nebenquests frei bestimmen.
Besonders ist in Fantasian auch, dass sich Angriffe manipulieren lassen. Attacken können entweder in einer geraden Linie, in einem Bogen gekrümmt oder als Flächenangriff ausgeführt werden. Diese Mechanik äußert sich in kreativen, strategischen Kämpfen, die insbesondere bei Bossen völlig zur Geltung kommen. Trotz rundenbasiertem Geschehen kommt hier z. B. auch noch eine Timing-Komponente zum Einsatz. Ein Boss versteckt sich beispielsweise hinter Hindernissen und muss mit einem präzisen Kurvenangriff attackiert werden. Der Clou an der Sache sind die Hindernisse, die sich bewegen, sodass wir die Angriffe nicht nur richtig ausgerichtet, sondern auch im richtigen Moment ausgeüben müssen.
Schwere Herausforderung, selbst mit neuem Schwierigkeitsgrad
Fantasian: Neo Dimension präsentiert jede Menge Kniffe und einzigartige Fähigkeiten im Kampfsystem, verlangt seinen Spielern eine starke Kenntnis der Spielmechaniken ab. Dieser Aspekt ist in der zweiten Spielhälfte verstärkt, da bei der Wahl über die geführte Party und somit der verfügbaren Werkzeuge im Kampf eine große Freiheit gewährt wird. Des Weiteren gibt es einen großen Freiraum beim Fortschreiten, da Spieler mehrere Areale bereisen können und dabei nicht zwangsläufig die “richtige” Reihenfolge einhalten, somit also schon früh in fordernden Gebieten landen können. Daraus entsteht ein knackig schwieriges Erlebnis. Als neues Feature des Konsolen- und PC-Ports wurde ein neuer Schwierigkeitsgrad angepriesen. Die Stufe “Normal” wirbt damit, durch eine neue Ausbalancierung der Kämpfe für weniger frustrierende Momente zu sorgen. Zum Release wurde Fantasian nämlich vorgeworfen, zu schwer zu sein. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, hat mit der Stufe “Schwer” weiterhin die Möglichkeit, den ursprünglichen Schwierigkeitsgrad zu erleben.
Ich habe auf “Normal” gespielt und finde, dass Fantasian: Neo Dimension dennoch ein recht schweres Spiel darstellt. Die Bosskämpfe werden zu einem Rätsel, bei dem die richtige Kombination an Partymitgliedern, deren Fähigkeiten und anschließend eine richtige Strategie ermittelt werden muss. Doch selbst wenn das vermeintlich richtige Vorgehen identifiziert wurde, ist zu jeder Zeit Vorsicht geboten. Die Bosse bestrafen Fehler umgehend, schon eine Handvoll Treffer führen zum KO. Gerade optionale Bosse, die sich in der Spielwelt finden lassen, stellen eine große Herausforderung dar. Wer glaubt, mit dem genretypischen, wiederholten Besiegen von schwächeren Gegnern den Schwierigkeitsgrad senken zu können, täuscht sich. Ab einem gewissen Level sorgen gewöhnliche Feinde für kaum Erfahrungspunkte, wodurch das Aufsteigen im Level zur langsamen Angelegenheit wird. Dadurch bietet Fantasian für mich eine Schwierigkeit, die zwar mit einer Betonung auf strategisches Vorgehen positiv zum Nachdenken anregt, aber auch zu häufig zum lästigen Trial und Error-Prinzip führt.
Eine spaßige Spielmechanik rund um das Kampfsystem möchte ich hier aber nicht unerwähnt lassen. Fantasian: Neo Dimension bietet Zufallskämpfe, sodass wir nahezu überall spontan mit einem Kampf konfrontiert werden können. Früh im Spiel erhält man die Fähigkeit, Zufallsbegegnungen zu “sammeln” und in einem Gerät namens Dimengeon zu speichern. Dies ermöglicht es, die Begegnungen aufzuschieben und anfangs bis zu 30, später bis zu 50 Gegner auf einmal zu bekämpfen. Ihr bekämpft aber nicht alle Feinde gleichzeitig; stattdessen stehen euch stets rund 10 Feinde gegenüber, beim Ableben dieser rücken weitere Gegner nach. Temporäre Fähigkeitsboosts sorgen dafür, dass sich der Spieler im Kampf mächtig fühlt und gegen die Feindesscharen ankommt. Bei der Ansammlung großer Gegnertruppen gibt es zudem bessere Belohnungen nach dem Sieg. Das Dimengeon-Feature ist optional, lässt sich also auch abschalten. Mir hat diese Spielmechanik aber großen Spaß bereitet, sodass ich keinen Grund sah, das Dimengeon-Gerät zu deaktivieren.
Guter Soundtrack und gelungene englische Sprachausgabe
Die neue Version bringt neben einem überarbeiteten Schwierigkeitsgrad auch weitere neue Features mit sich. Sämtliche Zwischensequenzen wurden mit einer englischen und japanischen Sprachausgabe versehen. Selbst viele optionale Szenen präsentieren sich nun vertont. Ich habe in Englisch gespielt, mich konnte die gebotene Sprachausgabe überzeugen. Die Sprecher sind passend gewählt und bringen das Geschehen gelungen rüber.
Fantasian verfügt über einen tollen Soundtrack, der aus der Feder des legendären Nobuo Uematsu stammt. Die Lieder tragen toll zur Atmosphäre bei und ich lauschte gerne den verschiedenen Kampfsoundtracks, die bei normalen Kämpfen, Bosskämpfen und Dimengeon-Schlachten ertönen. Doch auch hinsichtlich des Soundtracks hat sich mit dem Konsolen- und PC-Release etwas getan. Spieler haben optional die Möglichkeit, die für das Spiel komponierten Lieder mit klassischen Final Fantasy-Songs von Uematsu auszutauschen. Es ist die Kampfmusik der Spiele FF XIV Endwalker, FF XIV Dawntrail, FF VII Remake, FF VII Rebirth, FF Pixel Remaster und FF XVI enthalten. Diese Option hat mir sehr gut gefallen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass es nicht nur die Spieleveröffentlichungen der letzten fünf Jahre, sondern auch Klassiker wie FF VIII oder FF X in die Liedauswahl geschafft hätten.
Tolle Idee rund um fotografierte Dioramen, die Smartphone-Herkunft streift die neue Version allerdings nicht ab
Visuell lässt Mistwalker die JRPGs der PS1-Ära aufleben. Fantasian zeichnet sich durch einen festen Kamerawinkel aus und etabliert Hintergründe, die auf dem ersten Blick vorgerendert aussehen. Besonders ist hier, dass die Hintergründe nicht gerendert, sondern physisch gebaute, fotografierte Miniatur-Dioramen sind. Diese Darstellung verleiht dem Spiel eine grafisch sehr interessante Note, da es zugleich stark an den Retro-JRPG-Look erinnert und sich doch kreativ von diesem abzusetzen weiß. Allerdings kann Fantasian: Neo Dimension nicht verschleiern, dass Mistwalker den Titel ursprünglich für Mobilgeräte konzipierte. Auch wenn die Konsolenversion auf einem 4K-TV recht scharf aussieht, sind insbesondere die Figuren und Kampfeffekte einfach gestaltet.
Weiterhin verfügt der Titel über eine Benutzeroberfläche mit wenigen, großen Schaltflächen. Dadurch mag die UI zwar recht aufgeräumt und übersichtlich wirken. Ich wurde bei jedem Aufrufen des Menüs aber daran erinnert, dass die UI in erster Linie für die Touch-Kompatibilität mit einem kleinen Handybildschirm entworfen wurde. Dies ist der Grund, warum ich das Spiel primär per Playstation Portal und nicht am TV gespielt habe. Auf mich wirkt Fantasian wie ein Spiel, das als Handheld sein volles Potenzial ausspielt und darauf schlicht mehr Spaß macht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Titel ebenso auf dem Steam Deck und der Nintendo Switch glänzt.